Direct-to-Consumer oder kurz D2C ist in aller Munde und entwickelt sich zum regelrechten Hype im E-Commerce. Bei diesem Ansatz richten sich Unternehmen mit ihren Produkten direkt an ihre Zielgruppe – meist ohne dass Reseller oder Plattformen dazwischengeschaltet werden. Der klassische B2B- oder B2C-Vertrieb, bei dem produzierte Artikel an Zwischen- oder Großhändler geliefert werden, um diese bei Händlern vor Ort zum Verkauf anzubieten, wird somit aufgesprengt.
Selbst verkaufen, anstatt auf Dritte zu setzen, ist die neue Devise. Eigene Onlineshops und Vertriebskanäle machen es möglich.
Auch die österreichische Traditionsmarke Giesswein geht inzwischen verstärkt diesen Weg. Das bereits 1954 gegründete Unternehmen, was sich vor allem durch Hüttenschuhe, Filzpantoffeln und Strickjacken aus Wolle einen Namen gemacht hat, krempelte die eigene Strategie kurzerhand um und ist seitdem ein Vorzeigebeispiel unter E-Commerce-Unternehmen. Mit Sneakern aus Merinowolle und einem D2C-Konzept erfand sich das Familienunternehmen in dritter Generation neu.
Wie sich das für Giesswein auszahlt, welche Vorteile sie im D2C-Business sehen und warum sie ihren Magento-Shop gegen einen Shopify-Store eintauschten, erläutern uns CEO Markus Giesswein und Head of eCommerce Markus Kapferer im Interview.
Wir sind seit über 60 Jahren im Geschäft und dennoch ganz am Anfang.
Wie haben sich eure Prioritäten in den letzten Jahren verändert?
Markus und Johannes Giesswein führen das Unternehmen bereits in dritter Generation
Markus Kapferer: Wir sind schon lange am Markt und haben uns über die Jahre entwickelt. In den letzten Jahren waren unsere stärksten Produkt Hausschuhe und das hat sich jetzt innerhalb von den letzten zwei, drei Jahren sehr geändert. Die Hausschuhe sind nach wie vor stark, aber wir haben einige neue Produkte entwickelt. Das hat mit unseren Merino Runners, also Sneakern aus Merinowolle, begonnen. Dadurch wurde das komplette Business ein bisschen verändert, es ist jünger und sportlicher geworden.
Durch die Änderung der Sichtweise haben sich sehr viele Modifikationen ergeben.
Markus Giesswein: Die größte Änderung neben den Produkten war aber auf jeden Fall, den Fokus auf den Konsumenten zu legen. Vorher waren wir eher B2B-getrieben und haben alles aus der Brille des Fachhandels gesehen. Dies wurde von uns nun radikal auf den Konsumenten umgestellt. Durch diese Änderung der Sichtweise haben sich sehr viele Modifikationen ergeben. Das begann bei einem Produkt und hat seitdem nicht aufgehört. Es ging weiter mit der Website, der Produktentwicklung bis hin zum Fokus auf den Kundenwunsch und die Erwartungen. Daraufhin überlegten wir, was wir umstellen müssen, um die Kundenbedürfnisse zu befriedigen.
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Welche Erfolge konntet ihr durch das Umkrempeln eurer Strategie verzeichnen?
Markus G.: Ich würde sagen, dass wir erst einmal ein gehöriges Umsatzwachstum verzeichnen konnten, weil wir es geschafft haben, den Konsumenten ein tolles Produkt nahezubringen. Wir können jetzt relevante Informationen besser übermitteln, die wir so vorher nicht transportieren konnten. Für uns ist es nun leichter, unsere Produkte perfekt darzustellen und direkt mit den Kunden zu kommunizieren. Das war so früher im Handel nicht möglich.
Eure Merino-Runner-Schuhkollektion habt ihr dank Kickstarter finanziert. Warum seid ihr diesen eher unkonventionellen Weg gegangen?
Markus G.: Das war der erste Schritt, den wir gewagt haben. Wir wollten hören, was die Konsumenten zu unserer Idee sagen. Damit zielten wir vor allem auf die Kundengruppe der Early Adopters ab. Für uns war es ausschlaggebend zu sehen, ob wir auch bei Kunden ankommen, die nur innovative Produkte suchen. Über Kickstarter konnten wir das schnell herausfinden. Uns war klar, dass der Erfolg bei einem innovativen Produkt immer größer sein wird als bei einem Vergleichbaren. Das kann man jedoch nur abschätzen, indem man seine Kunden befragt und die Reaktion abwartet.
Natürlich wird jedes Unternehmen von sich selbst sagen, dass das neueste Produkt super innovativ ist. Ob das wirklich der Fall ist, entscheidet jedoch der Kunde allein.
Bei uns war es der Fall, dass wir die Bestätigung der Kunden über Kickstarter erhalten haben.
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Gut im Wollgeschäft - in der eigenen Fabrik in Österreich verarbeitet Giesswein die Wolle für ihre Produkte
Eure Stärken seht ihr nun abseits des B2B-Geschäfts. Würdet ihr euch selbst als D2C-Marke bezeichnen?
Markus G.: Ganz klar ja. Es zeichnet sich dadurch aus, dass wir einfach mit dem Kunden mehr interagieren. Wir sind viel näher dran als früher. Der Konsument stellt ganz andere Fragen als der B2B-Kunde, er möchte zum Beispiel mehr über die Hintergründe wissen und wie Produkte hergestellt werden. Diese Informationen sind für Händler zweitrangig. Ihnen geht es um ganz andere Themen, um den Nutzen des Produkts, die Anwendung und um die Art und Weise, wie man das Produkt verwendet und pflegt. Wir können den Kunden jetzt begleiten - in der Vorkaufphase, während des Kaufprozesses und in der Nachkaufphase.
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Der klassischen Direct-to-Consumer-Definition widersprecht ihr jedoch, indem ihr weiterhin auf Zwischenhändler wie Amazon setzt. Warum gehören diese zum Giesswein Vertrieb?
Markus G.: Wir glauben nach wie vor, dass stationäre Händler ihre Berechtigung haben, nur eben ein bisschen anders als das vorher der Fall war. Es kommt immer aufs Einkaufserlebnis und die Kunden an. Es gibt Kunden, die wollen lieber in unserem Shop kaufen, weil da die größere Vertrauensbasis besteht und sie die meisten Informationen erhalten. Dann gibt es aber Kunden, die Plattformen wie Amazon für ihren Einkauf präferieren, aus dem Grund sind wir da vertreten. Natürlich gibt es auch noch Zielgruppen, die nur stationär kaufen wollen und online gar nichts bestellen oder zumindest gewisse Produktgruppen auslassen. Da bieten wir im Prinzip alles an und schließen keinen Kanal aus.
Welche Vorteile seht ihr im D2C-Konzept?
Markus G.: Auf jeden Fall die Geschwindigkeit. Der große Vorteil ist, dass man alles antesten kann. Die Barriere ist sehr klein, um neue Produktideen zu erproben. Man kann auch neue Vermarktungsideen oder Werbesprüche ausprobieren und daraufhin optimieren, da man sehr schnell Feedback von den Kunden erhält. Deswegen wurden auch unsere Merino Runners auch schon sehr oft überarbeitet. Mit jedem Produktionszyklus gibt es Kleinigkeiten, die wir noch verbessern können. Das beginnt bei der Verpackung und hört bei kleineren Optimierungen der Passform auf. Das ist ein viel engerer Prozess als vorher.
Im B2B-Geschäftt verlangen Händler eine möglichst große Auswahl. Der Konsument will ein möglichst gutes Produkt haben. Das ist der große Unterschied.
Qualität vor Quantität, das gilt beim Konsumenten und auch in der Online-Welt. Das ist ein absolutes Gegenkonzept zu dem, was wir vorher gemacht haben. Relativ wenige Produkte, dafür innovativer und laufend in optimierter Qualität.
Ein Schuh, der alles änderte - mit den Merino Runners begann eine neue Giesswein-Ära
In diesem Zuge habt ihr euch auch für ein anderes Shopsystem entschieden. Was war ausschlaggebend für den Wechsel von Magento zu Shopify Plus?
Markus K.: Es sind mehrere Gründe zusammengekommen. Zum einen hatten wir relativ hohe Entwicklungsaufwände mit Magento. Wir haben damals mit einer Agentur zusammengearbeitet und hatten das Problem, dass wir immer hintennach waren. Neue Features zu entwickeln hat einfach sehr lange gedauert: Anforderungen an die Agentur schreiben, zwei Wochen auf ein Angebot warten, dieses nachverhandeln, dann beauftragen und die Agentur erstellt ein Konzept. Bis so etwas umgesetzt ist, dauert es drei, vier Monate. Das war auch mit entsprechendem Aufwand und Kosten verbunden.
Wir wollten einfach schneller und agiler werden.
Gleichzeitig waren wir auch extrem von unserer Agentur abhängig. Das wollten wir entzerren. Wir wollten auch inhouse entwickeln können, damit wir einen vollen Zugriff auf die Daten haben. Dazu kommt noch, dass Magento selbst zu diesem Zeitpunkt relativ fehlerbehaftet war bzw. mussten wir einfach viele Ressourcen reinstecken, damit es so wird, wie wir es haben wollten.
Außerdem wünschten wir uns die Möglichkeit einer Versionierung, dass wir, falls mal etwas schiefgeht, auch schnell zurück zur alten Version kommen. Da sehe ich auch die Stärke bei Shopify.
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Wie lange hat die Migration von Magento zu Shopify gedauert?
Markus K.: Wir waren relativ schnell. 2017 haben wir vor Weihnachten beschlossen, dass wir den Test mit Shopify wagen. Daraufhin haben wir zuerst unseren US-Onlineshop umgestellt und konnten Ende Januar online gehen, anderthalb Monate also von Projektstart bis zum Launch der Seite. Im Februar haben wir eine Auswertung gemacht und sind zu dem Entschluss gekommen, dass Shopify gut für uns funktioniert. Ab da an haben wir damit begonnen, ein Konzept zu erstellen und uns alles noch sehr viel detaillierter anzusehen. Wir haben begonnen eine eigene Schnittstelle über die Shopify API an unsere Warenwirtschaft anzubinden. In dem Zuge haben wir festgestellt, dass wir nicht alle Produktdaten bei uns in der Warenwirtschaft abbilden können. Deswegen haben wir dann noch ein kleines PIM entwickelt. Das waren die zwei Schlüsselprogramme, die wir inhouse erstellt haben.
Dadurch konnten wir dann Mitte Mai mit allen anderen Stores online gehen. Das heißt ein halbes Jahr haben wir gebraucht, um vier Stores komplett umzustellen. Das hat alles sehr problemlos funktioniert und läuft stabil. Wichtig war einfach, dass wir uns die Zeit genommen haben und die Schnittstellen sauber entwickelt haben.
Wir haben dann zwei Monate später für UK noch einen Shop in Pfund eröffnet. Für dessen Live-Schaltung haben wir ungefähr zwei Wochen benötigt, wobei wir da natürlich von dem bestehenden Setup profitiert haben.
Den Schnellstart-Guide für deinen Onlineshop mit Shopify, findest du übrigens hier.
Was waren die wichtigsten Punkte, die ihr während und nach der Migration beachten musstet?
Markus K.: Vor dem Relaunch waren einige Fragen für uns offen. Wir wollten wissen, wo Shopify Schwächen hat und wie wir damit umgehen. Das ist zum einen für uns die Limitierung auf 99 Varianten pro Produkt. Das war für uns ein wichtiges Thema, weil z.B. unsere Hausschuhe in ungefähr zehn Farben und 15 Größen verfügbar sind. Dann kommt man relativ schnell über dieses Limit. Wir mussten ein System entwickeln, um das zu umgehen, indem wir die Produkte bewerten und entscheiden, welche Produktvarianten wir bei Shopify automatisiert online stellen und welche nicht.
Der Marktführer - Wollhausschuhe von Giesswein
Wir haben allerdings im Zuge des Launches geschaut, dass wir die Produktdaten in einem zentralen System im Backend in allen Sprachen pflegen können. Dafür haben wir Schnittstellen gebaut, sodass wir aus unserem zentralen System alle Stores ansprechen können. So hatten wir die Datenhoheit und mussten nicht alles dreimal anfassen.
Lesetipp: Wie du Social Commerce für dich nutzen kannst, erfährst du in diesem Beitrag.
Das zweite große Thema, das sich bis jetzt durchzieht, ist die Internationalisierung. Wir arbeiten daran, möglichst effizient mehrere Stores zu verwalten. Wenn man in vielen Ländern und vielen Währungen verkaufen will, müssen bei Shopify eigene Stores eröffnet und dementsprechend die Daten öfters gepflegt werden. Wenn wir ein Bild auf der Startseite ändern wollen, müssen wir das momentan fünfmal ändern. Da haben wir die ultimative Lösung noch nicht gefunden.
Ihr habt viel selbst entwickelt. Gab es dennoch eine Zusammenarbeit mit einem Shopify-Partner?
Markus K.: Wir haben mit eShop Guide zusammengearbeitet. Die haben vor allem das Frontend entwickelt bzw. angepasst und zusätzliche Features entwickelt. Wir sind mit unserem aktuellen Partner super happy und das funktioniert wirklich sehr gut. Aber durch Shopify haben wir eben auch die Möglichkeit in unseren Entwicklungsprozessen unabhängig zu sein.
Alles, was sich im Backend abspielt, konnten wir durch unsere Leute technisch selbst umsetzen. Ich persönlich finde es auch immer sehr wichtig, Know-how inhouse aufzubauen und eine eigene Abteilung zu haben, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt. Ein ganz großer Pluspunkt ist dabei die API von Shopify, die gut dokumentiert ist. Das hat es eigentlich ermöglicht, dass wir viel selbst machen konnten. Wir hätten dadurch strategisch gesehen die Option, den Shop komplett selbst zu betreuen oder später eine andere Agentur einzusetzen. Auch wenn wir hier aktuell keinerlei Bestrebungen haben.
Für Unternehmen ist es einfach immer wichtig, sich nicht selbst in eine Sackgasse zu lenken und komplett abhängig zu machen.
Seriöse Shopify-Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz findest du in unserer englischen Expertensuche.
Bei Shopify habt ihr euch für den Shopify-Plus-Plan entschieden. Warum?
Markus K.: Wir sind online in den letzten Jahren gut gewachsen, dadurch hat der Onlineshop eine hohe Bedeutung für unsere Firma. Deswegen fiel die Wahl auf Shopify Plus.
Wir möchten die beste Betreuung, einen schnellen Support und einen leistungsstarken Onlinestore.
Für uns war es außerdem wichtig, den Check-out anpassen zu können. Wir profitieren auch stark von den Apps und auch Shopify Scripts kommt oft zum Einsatz. Das hat sich definitiv bewährt und dadurch ist einfach das Gesamtpaket für uns überzeugender gewesen als die Basis-Version.
Wie wird es denn in Zukunft weitergehen? Werdet ihr von den traditionellen Hausschuhen und Filzpantoffeln abweichen?
Markus G.: Nein wir werden nicht davon abweichen, denn das ist nach wie vor eine stark wachsende Produktgruppe. Wenn man einmal einen Schuh gekauft hat, bleibt man dabei. Das ist einfach unsere Tradition und nach wie vor ein großartiges Produkt. Es hat einen Grund, warum wir da im Premium-Hausschuhbereich in Deutschland Marktführer sind.
Natürlich haben wir aber auch täglich viele Ideen für neue und andersartige Produkte. Wir hören längst nicht auf, sondern stärken unsere Produktketten. Wir sind seit über 60 Jahren im Geschäft und dennoch ganz am Anfang.
Über die Autorin: Caroline Dohrmann ist Online-Marketing-Managerin und Content-Enthusiastin. Wenn sie nicht gerade Shopify-Händlern und Händlerinnen die besten Geheimtipps in Interviews entlockt, schreibt sie im Blog über die Shopify-Community, Social Media und was das Online-Marketing gerade bewegt.
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